Wenn sich erste Blätter bunt färben, und der Morgennebel den Blick auf unsere Berge erst im Laufe des frühen Vormittags freigibt, dann geht’s unaufhaltsam dem Herbst entgegen. Anfang bis Mitte September beginnt dann die 5. Jahreszeit, die Zeit des Viehscheids. Einheimische sowie Gäste aus Nah und Fern freuen sich dann gleichermaßen auf eine sehr besondere, bedeutende Veranstaltung mit langer, langer Tradition.
Wenn die Viehherden nach und nach aus ihrer „Sommerfrische“ zurück ins Tal ziehen, wollen tausende von Schaulustigen dabei sein und sorgen regelmäßig dafür, dass die Ortschaften aus allen Nähten platzen. Der gesamte jeweilige Ort ist dann ein einziges großes Fest.
In der Regel Anfang bis Mitte Juni, sobald es genügend Futter auf den Alpweiden gibt, beginnt für das Jung- und teilweise auch Milchvieh der Alpsommer. Die höher gelegenen „Galtalpen“ sind dem Jungvieh vorbehalten, während weiter unten auf den „Sennalpen“, die Milchkühe für die Milch sorgen, die an Ort und Stelle zu Bergbutter und zu unterschiedlichen Käsesorten verarbeitet wird. Der original „Allgäuer Bergkäse“ ist weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt und beliebt.
Die frische Luft, das abwechslungsreiche Futter mit Kräutern und Bergblumen sowie die ständige Bewegung tun den Tieren gut und machen sie fit und widerstandsfähig. Bis hoch hinauf, teilweise sogar bis in die Gipfelregionen, werden die Wanderer und Tourengänger vom harmonischen, für das Allgäu so typischen Klang der Glocken und Schellen begleitet.
Darum geht es beim Viehscheid
Ab Anfang September, ca. 100 Tagen nach dem Alpauftrieb, naht der wichtigste Tag im landwirtschaftlichen Kalender. Die Tiere werden von den Älplern „rausgeputzt“ und bekommen ihre Schellen (Allgäuer: Zugschellen / Walser: Chlepfa) angelegt.
Das Kranzrind bedeutet, dass alles gut gegangen ist!
Falls sich nämlich im Laufe des Alpsommers kein Unfall ereignet hat, z. B. durch Absturz, Blitz- oder Steinschlag, wird das Leittier – im Allgäu Kranzrind und im Kleinwalsertal Maiarind genannt – mit einem prächtigen Kranz geschmückt. Dieses Kunstwerk wird mit viel Fantasie, Liebe und Hingabe gebunden und besteht aus Zweigen, Gräsern, Blumen und Bändern. Mit christlichen Symbolen wie beispielsweise dem Kreuz, wird zudem um den Schutz des Himmels gebeten und der Spiegel soll zur Abwehr böser Geister gut sein.
Am Scheidtag, noch im Morgengrauen, brechen die Herden und ihre Begleiter zu ihrem anstrengenden und durchaus nicht ungefährlichen Marsch auf. Derweil werden sie unten im Tal schon sehnlichst erwartet. Unterstützt vom Echo der engen Seitentäler, kündigt sich die spektakuläre Ankunft der Herden schon von Weitem an.
Am Scheidplatz angekommen
Endlich am Scheidplatz angekommen, "scheidet" (trennt) der Hirte das Vieh und übergibt es wieder in die Obhut ihrer Besitzer. Die Hirten, Hirtinnen und ihre Gehilfen sind stolz auf ihre verantwortungsvolle Arbeit und die Bauern sind dankbar, dass ihr "Betriebsvermögen" wieder heil und gesund im heimischen Stall untergebracht ist. Mehrere Gründe also, um einen langen, anstrengenden Tag entsprechend ausklingen zu lassen und wer dabei sein möchte, ist herzlich eingeladen. Zur ein oder anderen Maß Bier gehören Scheidwürste, gebratene Hähnchen, frische Brezen und natürlich die Blaskapelle, die mit zünftiger Musik für die richtige Stimmung sorgt und zum Tanz aufspielt.
Gleichzeitig liegt natürlich immer eine gehörige Portion Melancholie über dem Fest. Mit Ende des Alpsommers kündigt sich der Herbst an und dann sind es meist nur noch wenige Wochen, bis der Winter wieder Einzug hält. Was den Reiz aber wirklich ausmacht, lässt sich mit Worten nur sehr unzureichend beschreiben. Den "Scheid", wie der Viehscheid in der Umgangssprache genannt wird, den muss man einfach hautnah miterleben!